10 Jahre Hilfen für Geflüchtete

Bereichsleiter Christian Wiggers
Heute: An mehr als 200 Standorten in Hamburg gibt F&W obdachlosen oder geflüchteten Menschen eine Unterkunft. Rund 45.000 Personen bekommen auf diese Weise in Hamburg ein Dach über dem Kopf. Das sind so viele Einwohner:innen wie in den Stadtteilen Lokstedt und Stellingen zusammen.
10 Jahre zurück: Wie war das im Sommer 2015, als die Geflüchteten in Zügen oder per Bus in der Hansestadt ankamen und so schnell wie möglich untergebracht werden mussten? F&W-Mitarbeiter:innen berichten
Wie haben Sie den Sommer 2015 in Erinnerung?
Christian Wiggers: Zu dem Zeitpunkt hatte ich das Jurastudium mitsamt Referendariat beendet und arbeitete als Betreuer für Jugendliche, auch für solche mit großen psychischen Schwierigkeiten. 2015 war ich für einige Monate in Istanbul. Die Bilder der Menschen, die über das Mittelmeer flüchteten, waren somit besonders nah. Ich bin ein „Listentyp“, das heißt, ich habe aufgeschrieben, wohin will ich eigentlich, was will ich machen im Leben? Die Arbeit mit Geflüchteten stand ganz oben. Und dann habe ich mich bei F&W beworben.
Und Ihr erster Arbeitstag?
Ich war Aushilfe mit einem 3-Monats-Vertrag am Grellkamp 40 in Langenhorn. Dort waren letztlich knapp 800 Geflüchtete untergebracht. Unser heutiger Personalrat Rüdiger hat mich als damalige Teamleitung in Empfang genommen. Er hat gefragt: „Wie heißt Du, welche beruflichen Erfahrungen bringst Du mit?“ Und sofort ging es de facto los als Sozialmanager. Die Unterkunft war ein altes Schulgebäude, alles wirkte sehr unfertig und lebendig auf mich. Das liegt mir. Es ging viel um „einfach machen“.
Eine leerstehende Schule in Langenhorn am Grellkamp 40 wurde 2015 zur Erstaufnahme
Die Ehrenamtlichen nannten diesen Aufenthaltsraum „Kultkomm“ (Kultur und Kommunikation): Die ehemalige Mensa wurde von den Bewohner:innen als Teestube, Spiel- und Versammlungsraum genutzt
Wie haben Sie die Arbeitssituation empfunden?
Es kamen Menschen, die Hilfe brauchten. Und es gab viele Menschen, die wollten helfen und haben geholfen. Dank Ideenreichtum, viel Energie und viel Gestaltungsspielraum hat es funktioniert. Und so funktioniert es bis heute.
Was ist 2025 bei der Unterbringung von Geflüchteten anders als 2015?
Das Geschehen ist jetzt durch klarere Prozesse geprägt. Vieles wird weiterhin direkt und dynamisch am Standort vom Team erledigt. Viele Geschäftsfelder, zum Beispiel der Bereich Bauen, haben sich bei F&W weiterentwickelt. Interessant ist, was unverändert ist. Da ist der Auftrag: Menschen unterzubringen und zu begleiten. Auch die wohlwollende Zusammenarbeit mit den Behörden der Stadt ist gleichgeblieben. Und zum Glück ist die Motivation auf allen Seiten gleich hoch geblieben. Ob an den Standorten oder in der Verwaltung: Ich erlebe Menschen, die alle Bock haben, etwas zu bewegen.
Was haben Sie persönlich gelernt?
Dass mein juristisches Denken doch häufig hilfreich ist. Dass es nützlich sein kann, auch in Worst-Case-Szenarien zu denken. Dass durch Teamwork alles gemeinsam gelöst werden kann. Krisen wie 2022 im Ankunftszentrum, nach dem Angriff auf die Ukraine, würde ich mich wieder stellen – man lernt dabei auch viel über sich selbst.
Christian Wiggers
Jurist, 2015-2017: Erstaufnahme Grellkamp 40 (Langenhorn), 2017-2019: Sozialmanager Folgeunterkunft Sieversstücken (Blankenese), 2019-2021: komm. Teamleitung Harburger Poststraße, 2021-2023: Teamleitung Ankunftszentrum (Rahlstedt), Seit März 2023: Bereichsleitung öffentlich-rechtliche Unterkunft (örU) Nord 1
Hintergrund-Infos
- Steuerung betrieblicher Abläufe der Unterkünfte sowie der Außenvertretung in den jeweiligen Bezirken
- Dienst- und Fachaufsicht für die Leitungsteams: Personalführung, Verantwortung für Arbeitssicherheit und Aspekte des betrieblichen Gesundheitsmanagements
- Budgetverantwortung
- Mitwirkung am Qualitätsmanagement
Ankunftszentrum: Erste Anlaufstelle
Den Asylantrag stellen Geflüchtete seit 2016 im Ankunftszentrum in Hamburg-Rahlstedt. Dort erfolgt die Registrierung durch das Amt für Migration der Hamburger Behörde für Inneres und Sport. Anhand eines bundesweiten Verteilungsschlüssels wird entschieden, ob die asylsuchende Person in Hamburg bleibt oder in ein anderes Bundesland reist. Bleibt die asylsuchende Person in Hamburg, wird ihr ein Platz in der Erstaufnahme zugeteilt.
Erstaufnahme:
Erstaufnahmen sind Gemeinschaftsunterkünfte, d.h. Asylbewerber:innen wohnen zumeist in Mehrbett-Zimmern mit Gemeinschaftsbädern. Sie werden dort mit Sachleistungen versorgt (neben Unterkunft auch Verpflegung, Kleidung, medizinische Hilfe). Für die Dauer des Aufenthaltes in einer Erstaufnahme besteht die sogenannte Residenzpflicht: Die Stadt Hamburg darf nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen werden, während der Asylantrag geprüft wird.
öffentlich-rechtliche Unterbringung (örU):
Nach Ablauf der „Residenzpflicht“ ziehen Geflüchtete aus der Erstaufnahme meist in Wohnunterkünfte, die auch Folgeunterkünfte genannt werden. Diese öffentlich-rechtliche Unterbringung dient vorübergehend dazu, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Ziel ist es, eine eigene Wohnung zu finden.