10 Jahre Hilfen für Geflüchtete

Letzter Teil der Reihe: Wie war das im Sommer 2015, als Geflüchtete in der Hansestadt ankamen und so schnell wie möglich untergebracht werden mussten? Freiwillige berichten
3. September 2025

Teamleiter Stefan Holst (v. l.), F&W-Mitarbeiter Ali Gedizli mit Thilo, Manuel, Detlef und Ulli vor der Fahrradwerkstatt Sieversstücken. Es fehlen Heinrich und Uwe.

Ohne freiwillig Engagierte wären viele Angebote für Geflüchtete in Hamburg nicht denkbar. Aktuell sind bei F&W rund 1.000 Freiwillige in verschiedenen Projekten und Unterkünften aktiv. Ein Angebot, das seit 10 Jahren besteht, ist die Fahrradwerkstatt in der Wohnunterkunft Sieversstücken in Sülldorf. Bis heute ist das Gründungsteam dabei. 

Khaled hat einen Platten. Langsam schiebt der 11-Jährige sein schwarzes Mountainbike vor die Werkstatt. „Na, wir gucken mal“, erklärt Detlef und hebt das Rad mit Schwung auf den Holztisch, der vor der Tür steht. „Da muss nur ein Ventil ausgewechselt werden“, stellt Detlef schnell fest. 

Er ist einer von 6 ehrenamtlichen Helfern, die in der Wohnunterkunft die Fahrradwerkstatt betreiben. Zusammen mit Ulli, Thilo, Uwe, Heinrich und Manuel trifft sich das Team einmal pro Woche vor Ort und repariert ehrenamtlich Fahrräder. An diesem Donnerstag ist den Männern das Herz schwer: Denn es ist der erste ohne Rudi, der vor 10 Jahren die Fahrradwerkstatt gegründet hat. Vor wenigen Tagen ist Rudi gestorben, ein großes Foto von ihm hängt nun an der Tür zur Werkstatt. 

Doch viel Zeit zum Nachdenken haben die Pensionäre nicht. Heute ist wieder mal Hochbetrieb auf dem Gelände in Sülldorf, wo mehr als 600 Menschen in Holzbauten leben. Alle paar Minuten biegen Bewohner:innen mit Kinderrollern, Hollandrädern, sogar Buggys um die Ecke. Hier quietscht die Bremse, da klemmt die Gangschaltung, dort lockert sich ein Reifen. 

Der 75-jährige Ulli, der die Werkstatt organisatorisch leitet, erzählt, wie er und sein Team vor 10 Jahren mit ihrem Engagement gestartet sind und was sich daraus entwickelt hat.

Wie haben Sie den Sommer 2015 in Erinnerung?

Ulli: Unsere Initiative ist hervorgegangen aus der mittlerweile stadtbekannten Initiative „Runder Tisch Blankenese“, den es seit 1992 gibt und der sich bis heute für Geflüchtete engagiert. In 5 Kirchengemeinden im Stadtteil haben wir 2014 nach Fahrrad-Spenden gefragt. In kürzester Zeit hatten wir mehr als 100 gebrauchte Fahrräder zusammen. 2015 konnten wir dann die Werkstatt auf dem Gelände der Unterkunft Sieversstücken eröffnen. Wir hatten damals kaum Werkzeug, es gab kein Licht und keinen Strom im Container, alles war improvisiert. Aber vor der Tür bildete sich eine Traube von Menschen, die allesamt Fahrräder brauchten. Schnell halfen die Kirchengemeinden mit Spenden, so konnten wir die Werkstatt technisch einrichten und wurden handlungsfähig.

Teamleiter der Unterkunft Stefan Holst über die Fahrradwerkstatt:

„Die Fahrradwerkstatt ist hier am Stadtrand ein enorm wichtiges Angebot. Für viele Bewohner:innen ist das Rad ein wichtiges Fortbewegungsmittel. Sie sind mobil und unabhängig von HVV-Fahrplänen. Sie können die Supermärkte erreichen, die Kinder absolvieren auf den Drahteseln den Schulweg. Hier wird nicht nur geschraubt, hier entstehen Kontakte, man tausch sich aus und schnackt bei Kaffee und Kuchen. Die Fahrradwerkstatt ist eine feste Säule in Sieversstücken und ein beliebter Treffpunkt.“

Was ist heute anders als 2015?

Ulli: Unsere Werkstatt hat sich vergrößert, bald bekommen wir auf dem Gelände mehr Lagerflächen. Wir haben inzwischen ein gut sortiertes Ersatzteil-Lager und kaufen zu günstigen Konditionen bei Händlern ein. In 10 Jahren haben wir hier insgesamt 2.070 Räder ausgegeben. Darauf sind wir stolz. Und es macht uns immer noch Spaß!

Sie machen das alles kostenlos?

Ulli: Nein, wir sind hier keine Service-Station. Uns ist wichtig, dass die Bewohner:innen lernen, ihr Rad selbst zu reparieren und auch mal einen Reifen flicken können. Wir stellen das Werkzeug und das Material zur Verfügung, erklären auf Englisch, auf Deutsch und mit Händen und Füßen. Das klappt. Wir verkaufen auch komplett funktionstüchtige Räder, die kosten 10 Euro. Die eingenommenen Gelder werden für den Kauf von Ersatzteilen benötigt. Wer noch nicht Rad fahren kann, kann es hier auf dem Gelände lernen.

Mai-Britt Wulf, F&W-Freiwilligenkoordination Altona, über das langjährige Engagement der Ehrenamtlichen in Sieversstücken:

Freiwilliges Engagement lebt von Menschen, die sich mit Herz und Zeit einbringen. Besonders wertvoll ist es, wenn dieses Engagement langfristig besteht. Wenn sich Menschen über Jahre hinweg engagieren, entsteht etwas Besonderes: Verlässlichkeit, Vertrauen und echte Veränderung. Für das Wirken der Freiwilligen in der Fahrradwerkstatt in Sieversstücken sind wir sehr dankbar. Über 10 Jahre hinweg haben sie mitangepackt, mitgedacht und mitgeprägt. Wer über lange Zeit engagiert bleibt, bringt nicht nur Erfahrung und Know-How ein, sondern auch Verantwortung. Das freut uns sehr.

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