F&W im Interview mit der Autorin Hemrîn Oso, die heute ihren ersten Roman im Begegnungshaus Elfsaal vorstellt.
Am 1. März wird das Begegnungshaus Elfsaal von Fördern & Wohnen (F&W) zur Lesebühne: Die Autorin Hemrîn Oso stellt in Jenfeld ihr Erstlingswerk „Ich nenne sie Rojbîn“ vor. Sie hat damit einen eindrücklichen Geschichtsband über ein Mädchen namens Rojbîn geschrieben, das im syrischen Kobanê aufwächst – aber schon bald überzieht der Islamische Staat die Region mit Terror, und die Protagonistin muss die Flucht ins Exil antreten.
Viel von Rojbîns Leben findet sich auch in der Biografie von Hemrîn Oso wieder. Die 24-jährige Autorin floh vor dem Terror des IS im Jahr 2014 in die Türkei, fand 3 Jahre darauf ein neues Zuhause in Hamburg und lebte auch bei Fördern & Wohnen. F&W hat mit ihr gesprochen.
Ihr Buch „Ich nenne sie Rojbîn“ ist Ihr erstes Buch. Können Sie uns Ihre Hauptfigur einmal vorstellen?
Rojbîn ist ein kurdisches Mädchen, 11 Jahre alt, und wohnt in Kobanê. Eigentlich bin ich Rojbîn. Aber ich habe nicht in der Ich-Form geschrieben, weil ich wollte, dass sich jede:r mit ihr identifizieren kann. Daher habe ich sie Rojbîn genannt. Diese Geschichten sind Geschichten aus meiner Kindheit. Ich erzähle von der Gesellschaft, in der ich geboren wurde, wie es ist, dort als Frau zu leben, wie Rojbîns Träume dazu passen. Dann kommt der Krieg. Einige Geschichten handeln von dem Krieg, der Flucht und der Reise ins Ausland.
(Rojbîn bedeutet „Sonnenaufgang“. Ein Sonnenaufgang ist immer besonders und kommt nach einer sehr dunklen Nacht. In der Heimat ist der Sonnenaufgang einfacher – hier im Exil in Deutschland kann es Monate dauern, bis man ihn erlebt, bis man seinen Platz gefunden hat.
Welche Träume hat Rojbîn?
Sie hat viele Träume. Schon als Kind fühlt sie sich nicht zugehörig zu ihrer Gesellschaft. Sie will mehr tun: Für die Kinder, für ihre Bildung, das ist ihr Traum. Als sie 11 ist, hat ihre Familie eine freie Wohnung. Rojbîn träumt davon, dass dort Kinder zusammenkommen, zeichnen, sich austauschen, miteinander lernen. Sie will andere retten, im sozialen Bereich arbeiten.
Als Kind möchte sie nicht in Kobanê leben, weil sie dort keine Möglichkeiten hat, sich zu entwickeln. Sie wünscht sich nach Europa, aber sie ahnt nicht, dass sie eines Tages dort leben wird.
Mit welchem Ziel haben Sie das Buch geschrieben?
Das Buch war eher ein Ergebnis als ein Ziel. Meine ersten 3, 4 Jahre in Deutschland waren sehr intensiv. Emotional ging es mir nicht gut, vor allem in der Abi-Zeit. In meinem Land, auch in der Türkei, hatte ich einen guten Stand: Ich war das brave, fleißige Mädchen, geliebt von Lehrer:innen und Freund:innen. Als ich hier mit der Schule anfing, war alles anders. Ich musste viele Diskriminierungserfahrungen mit Lehrer:innen machen, die mich loswerden wollten. Als Muslima, Geflüchtete, damals noch mit Kopftuch, war ich in der Schublade; Lehrer:innen warfen mir vor, mich und meine Kenntnisse zu überschätzen. Aber ich habe erkannt, dass nicht ich das Problem war, es war ihr Problem.
Als Kind träumte ich von Europa, weil ich dachte, Fleiß wird mit Wertschätzung belohnt. Aber als ich ankam, gab es das nicht. Ich wollte studieren, und dafür brauchte ich das Abi. Ich hatte die 11. Klasse in der Türkei abgeschlossen, und als ich hier ankam, fehlte mir ein Jahr. Es war ein langer Weg, bis ich einen Platz an einer Schule fand. Als Geflüchtete ist es sehr schwer, hier zu leben, mit vielen Menschen in einem Zimmer. Mit meinen Deutschkenntnissen musste ich alles für die Familie erledigen: Mit Anwälten sprechen, lernen, dazu kamen eine drohende Abschiebung, Corona. Diese Zeit hat mich so sehr zerstört, dass ich alles herauslassen wollte.
Direkt nach dem Abi erfuhr ich von dem Wettbewerb, bei dem ich mein Buch eingereicht habe. Ende August war die Frist, Anfang des Monats erfuhr ich davon. Ich wollte diese Chance unbedingt nutzen, denn ich wusste, sobald ich studiere, wird es schwierig. Am Abend vor der Frist war das Buch fertig.
Heute sieht man mich als energetische, fröhliche Person – aber man sieht nicht, was ich erleben musste, bis ich da angekommen bin. So geht es vielen Menschen, die hier leben. Ich will, dass die deutsche Gesellschaft beim Lesen meines Buches Verständnis dafür entwickelt, dass geflüchtete Menschen hier kein einfaches Leben haben, egal, ob sie etwas leisten oder nicht.
Welche Pläne und Wünsche haben Sie für Ihre Zukunft als Autorin?
Zuerst möchte ich mein Studium der Erziehungs- und Bildungswissenschaften abschließen und etwas für die Gesellschaft tun. Bereits jetzt arbeite ich mit vielen Initiativen zusammen. In Kobanê gibt es seit einigen Jahren eine Universität, an der man Feminismus studieren kann, mit dieser Uni würde ich gerne während meinem Master gemeinsam forschen, sodass wir uns untereinander austauschen können.
Mein Traum ist es, in Hilfsorganisationen zu arbeiten. Als Jugendliche habe ich Konzepte und Programme entworfen, ich habe Mitstreiter:innen gewonnen, und in der Türkei habe ich bei Organisationen Workshops mitgemacht und mit Kindern gearbeitet. Irgendwann möchte ich in der internationalen Bildung arbeiten, mich für Frauen- und Kinderrechte einsetzen: Auf dem afrikanischen Kontinent, in Syrien, in Afghanistan, dort, wo es Bedarf gibt.
Eigentlich wollte ich bis zum Ende des Jahres einen Band mit kurdischen Gedichten veröffentlichen, aber dann kam der Wettbewerb. Ich habe viele Ideen im Kopf. Ich weiß nicht genau, wann, aber ich kann mir vorstellen, dass ich bald ein weiteres Buch schreibe. Ich hoffe, die Geschichten kommen spontan auf mich zu, und Hauptsache, das Schreiben macht mir Spaß.